„Hier muss Kirche vom Jazz noch allerlei lernen“ Interview mit Matthias Krieg

Initiant Matthias Krieg über die Vision der Jazzkirche Bluechurch und das bevorstehende Konzert „Jazz meets Sermon“ am 16. Dezember in der Installation „The Church“ der Kunsthalle Zürich

Interview: Madeleine Stäubli-Roduner

Matthias Krieg, was ist eine Jazzkirche?

Heute prägt das Territorium die Gemeinde. Wer den Wohnsitz wechselt, wechselt die Gemeinde. Künftig wird es Kirchregionen mit einer Vielfalt von Gemeinden geben. Sie werden sich aus territorialen und nichtterritorialen Gemeindetypen zusammensetzen. Bei Musikkirchen prägt die Musik die Gemeinde. Dies ist dann der Fall, wenn sie einem aus dem Herzen spricht und Ausdruck der Existenz wird. Jazz Ministry ist wie Pop Ministry oder Folk Ministry eine expressiv orientierte Gemeindemöglichkeit. In angelsächsischen Ländern gibt es das bereits.

Was ist denn die Vision der Jazzkirche? Kann oder will sie die Kirchen (wieder) füllen? Wird das Sax die Orgel ablösen…?

Zur Jazz Ministry ist es noch ein weiter Weg. Bluechurch ist ein Gütesiegel, das für Qualität steht, und ein internationales Netzwerk, das sich gegenseitig unterstützt. Es bringt jazznahe Kirchenleute und kirchennahe Jazzleute zusammen. Daraus entstehen vermehrt Jazzgottesdienste, aber auch Tagungen und Workshops, Forschungen und Materialien. Unsere Vision ist, dass jede Stadt ab hunderttausend Einwohnern einen Standort hat, eben eine Jazzkirche, von der alle, deren Musiksprache der Jazz ist, wissen, dass es dort zuverlässig immer guten Jazz gibt. Es geht nicht um Unterhaltung und Musikkonsum. Ziel ist eine Community, die im Vollsinn des Wortes Gemeinde ist. Dafür sind Kirchgebäude ja da: für das Leben einer Gemeinde. Jazzkirche entsteht aber nicht durch Auswechseln der Instrumente. Das wäre billige und kurzfristige Anbiederung. Nein, es soll eine neue Kultur von Kirche wachsen, eine neue neben anderen neuen. Jazz kann man übrigens auf fast allen Instrumenten spielen, sehr gut auch auf der Orgel. 

Sie sprechen von internationaler Vernetzung der Bluechurch: Wie weit ist diese schon gediehen?

Die Idee zu Bluechurch ist während zwei internationalen Tagungen in Leipzig entstanden. Zum Netzwerk gehören bereits prominente Jazzleute aus mehreren Ländern, von Schweden über die Schweiz bis in die U.S.A. Die Navigation auf der Homepage ist deshalb in Englisch. Was die Mitglieder einstellen, ist in Deutsch oder Englisch. Wir stehen am Anfang, aber das Interesse ist gross. 

Demnächst geht die Bluechurch in die Installation „The Church“ in der Kunsthalle Zürich. Was erwarten Sie von diesem Begegnungsort?

Über Jahrhunderte hat sich die Vorstellung verdichtet, Gott sei in bestimmten Häusern zu Hause. Man wusste, wo Gott hockt, und suchte ihn dort auf, weil man es sollte. Bibel und Kirchengeschichte kennen aber auch die Vorstellung, dass Gott unterwegs ist, irgendwo bei den Menschen, auch mal verschwunden und ganz allein. Die Unverfügbarkeit Gottes gehört zu unserem Glauben. Die Installation The Church erinnert an einem Ort, der für Gott nicht vorgesehen ist, an Gottes Häuser, die eigens für ihn vorgesehen waren. Wie in der blue hour zwischen Tag und Nacht, wo ich plötzlich ganz bei mir und ganz bei Gott bin, aber weit und breit ist keine Kirche ... Der andere Grund ist eine Einladung: Die Kunsthalle lädt uns ein. Wir nehmen sie gerne an, denn auch eine Jazzkirche soll kooperieren mit anderen Trägerinnen von Expressivität. Kunst und Musik sind so expressiv wie Religion. 

Was bedeutet Expressivität konkret? Wie können wir uns eine improvisierte Predigt vorstellen?

Expect the unexpected! Improvisation ist der Herzschlag des Jazz. Die Jazzerin und der Jazzer lassen im Moment spielen, was sie sich über Jahre an Figuren, Melodien, Gestaltungen angeeignet haben. Es sind unwiederholbare Momente. Guter Jazz schafft unvorhersehbare Unikate. Da passt es nicht, wenn einer eine Rede vorliest, an der er sechs Stunden geschrieben hat. Die Pfarrerin und der Pfarrer hat sich über Jahre Bibeltexte, Lebensmomente, Geschichten, Auslegungen angeeignet. Auch daraus lassen sich, hier nun mit Sprache, unvorhersehbare Unikate entwickeln. Gemeinsam ist beiden Vorgängen, was man Geistesgegenwart nennen kann. Klar, hier muss Kirche vom Jazz noch allerlei lernen. Wie lernfähig sie ist, wird sich weisen. Wir Promotoren von bluechurch haben Gründe, zuversichtlich zu sein. Sicher ist aber, dass Predigtimprovisation, zumal im Dialog mit Jazz, anders klingt als die Kanzelrede, die ja auch viele nicht mehr kennen. 

„Jazz meets sermon“, lautet das Motto des Konzerts in der Kunsthalle. Was haben Zuhörende zu erwarten?

Der Claim soll in merkbarer Kurzform eine Freundschaft beschreiben. Die Geistesgegenwart der Sprache trifft die Geistesgegenwart der Musik. Wort und Ton turteln miteinander. Der spiritus sanctus, Gottes unverfügbare Präsenz, möge in beidem hörbar werden. Zwei Erfahrene aus der Musik werden auf einige Neulinge aus der Theologie treffen. Darauf kann man sich nur einlassen. Die Jazzkirche bietet keinen Konsum, aber sie gestaltet Gelegenheiten, die zum bleibenden Erlebnis werden können.

Interview: Madeleine Stäubli-Roduner